Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Mehr als man erwartet ist gleich. Und mehr als man denkt ist unterschiedlich.
Deutschland und Iran teilen Gemeinsamkeiten und weisen gleichzeitig einige Unterschiede auf. Während die Gemeinsamkeiten Anknüpfungspunkte sein können, um zu einander zu finden, bieten die Unterschiede Chancen voneinander zu lernen, da etablierte Perspektiven oder Strukturen Antworten auf spezifische Herausforderungen in der Gesellschaft sind.
Das Bildungsideal und der Blick in die Geschichte
Das Land der „Dichter und Denker“ und das „Land der Ideen“ mit „deutscher Ingenieurskunst“ betont ein Bildungsideal, das in Deutschland gepflegt wird. Iran ist das Land der „Rosen und Nachtigallen“, eine Beschreibung, die stellvertretend für die großen Dichter und Literaten des Irans steht. Die Werke der Schriftsteller werden dabei ganzheitlich, im Sinne einer Referenz zum „guten und richtigen Leben“, verstanden. Die in Iran traditionell angesehenen Berufe sind Ingenieur, Arzt und Anwalt, während der Staat die Innovationskraft der eigenen WissenschaftlerInnen herausstellt.
Die Gesellschaften in Deutschland und Iran werden also von sehr ähnlichen Bildungsidealen geprägt. Eine Verbindung dieser Bildungsideale zeigt sich in dem von Goethe verfassten „West-Östlichen Diwan“, ein Gedichtband, den Goethe „seinem Zwillingsbruder“ widmete, dem iranischen Dichter Hafez.
Ebenso bedeutet für die Gesellschaften in beiden Ländern ist der „Blick in die eigene Geschichte“, um die eigene Rolle und Bedeutung in der Welt zu definieren. Während in der deutschen Gesellschaft die jüngste Vergangenheit und die Verantwortung für die Taten im Zweiten Weltkrieg der entscheidende Moment in der eigenen Geschichte darstellt, geht in der iranischen Gesellschaft der Blick zurück auf die iranischen Großreichen, die etwa 1000 Jahre (590 v.C. – 600 n.C.) die eurasische Welt maßgeblich prägten.
Kommunikations- und Organisationskultur
Auf den ersten Blick erleben Personen, die in Deutschland oder Iran aufgewachsen sind, in dem jeweils anderen Land klare Unterschiede, doch auch viel Vertrautes. So hat man in der Regel zunächst das Gefühl, dass die Unterschiede eindeutig und leicht zu überbrücken sind, insbesondere, wenn großes gegenseitiges Interesse besteht. Und es zeigt sich, dass man sich trotz der wahrgenommenen Unterschiede gut versteht.
Unter der Oberfläche gibt es allerdings enorme Unterschiede, die in der Regel – wie bei einem Eisberg – unter der Oberfläche verborgen bleiben, aber die Entwicklung in der Zusammenarbeit maßgeblich bestimmen, ohne, dass beide Seiten die tatsächlichen Handlungsmotive des Anderen nachvollziehen, da es grundsätzlich unterschiedliche Denkmuster gibt, die zu unterschiedlichen Wahrnehmungen und Bewertungen einer Situation führen. Beispielsweise sind die Wahrnehmung von “Problemen“ und die Kommunikation darüber grundsätzlich verschieden (mehr dazu bei „Was zeichnet Deutschland aus?“ und „Was zeichnet Iran aus?“).
An solchen tieferliegenden Unterschieden scheitern zahlreiche gemeinsame Vorhaben, während sie augenscheinlich an äußeren Bedingungen oder häufig an einer nicht erfolgreichen Konfliktbearbeitung scheitern, weil die tatsächlichen Handlungsmotive nicht im Sinne beider Seiten konstruktiv bedient werden. Das heißt, dass die „Konfliktlösung“ zum eigentlichen Problem wird, und man aus der (teils unbemerkten) Konfliktspirale nicht herauskommt, bis letztlich eine oder beide Seiten das gemeinsame Vorhaben beenden.
Das Grundgesetz und Gesetze
Obwohl sich die politischen Systeme in Deutschland und Iran stark unterscheiden, gibt es dennoch zumindest gemeinsame und teils gegenseitige Einflüsse.
Sowohl das Grundgesetz in Deutschland als auch das in Iran beruhen auf Verfassungsdiskussionen im 19. Jahrhundert in Europa. Schon Ende des 19. Jahrhunderts setzten sich iranische Intellektuelle mit europäischen Verfassungen und Verfassungsideen auseinander. Letztlich verfassten sie 1906 ein eigenes Grundgesetz auf Grundlage der französischen und belgischen Verfassung, das bis heute der Ursprung des gegenwärtigen Grundgesetzes der Islamischen Republik Iran ist.
Während der Staat in Deutschland ab dem 19. Jahrhundert eine formale Trennung von der Kirche durchsetzte, dominierte in Iran unter der Geistlichkeit die theologische Auffassung, dass sie keinen Einfluss auf den weltlichen Staat ausüben dürften.
Dennoch prägten die religiösen Mehrheitsreligionen, in Deutschland das Christentum, in Iran die Zwölfer-Schia, die Entwicklung und Interpretation der Grundgesetze sowie darauf aufbauender Gesetze.
Nach der Islamischen Revolution 1979 nahm dabei der Einfluss der dann revolutionären Interpretation der Schia stark zu, doch beruhen heute immer noch große Teile der iranischen Gesetzgebung auf europäischen Gesetzen, da es weiterhin gegenseitigen Einfluss bei Gesetzesvorhaben gibt. Dies macht viele gesetzliche Rahmenbedingungen in Iran und Deutschland, besonders wirtschaftlich, für den jeweils anderen, sehr vertraut. Das wesentliche Merkmal der Gesetzeslage in der Islamischen Republik Iran ist allerdings, dass alle Gesetze sich im Zweifelsfall dem politisch revolutionären Verständnis der Schia unterordnen müssen.
Die staatliche Struktur
Während die nationalsozialistische Diktatur bis 1945 Deutschland zentralisierte, wurde mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 die föderale Tradition in Deutschland erneut gestärkt.
Daher zeichnet sich Deutschland heute durch eine stark dezentrale Organisation und Verwaltung aus. So ist Deutschland ein Bund mehr oder minder unabhängiger Länder, den Bundesländern, die umfassende Bereiche ihrer Gesetze, Politik und Wirtschaft selbst organisieren und fördern. Insofern verfügen die Länder über eigene Regierungen, die über unabhängige Landesparlamente gewählt werden und sich auch selbst im Ausland vertreten. Seit den 2000ern zeichnen sich allerdings vorsichtige Zentralisierungstendenzen ab, die sich in Bestrebungen, Gesetze in den Bundesländern zu vereinheitlichen oder öffentlichen Diskussionen über Vor- und Nachteile des Föderalismus, widerspiegeln.
Obwohl Iran geschichtlich mit seinen zahlreichen Sprachen ebenfalls eine dezentrale Tradition aufweist, zeichnet sich Iran heute durch eine starke Zentralisierung aus, die im 20. Jahrhundert durchgesetzt wurde. Das Land ist seitdem in Provinzen eingeteilt, deren Gouverneure und ihre Provinzhaushalte aus Teheran bestimmt werden. Seit den 90er Jahren gibt es allerdings Bestrebungen die Landesorganisation teilweise zu dezentralisieren. So sind seitdem sechs neue Provinzen entstanden, welche eine lokalere Verwaltung ermöglichen. Zudem werden seit 1999 lokale Wahlen für Stadt- und Dorfversammlungen abgehalten, aus denen die Bürgermeister der Städte gewählt werden. Dennoch werden seit 1999 zunehmend die Legitimität der Wahlen in der Islamischen Republik Iran in Frage gestellt, da zeitgleich das Amt des Revolutionsführers die Zentralisierung der Staatsstrukturen fortsetzt.
Die relativ starken Unterschiede der staatlichen Strukturen spiegeln sich auch in den wirtschaftlichen Strukturen wider.
Die wirtschaftliche Struktur
Deutschland zeichnet sich wirtschaftlich über seinen Mittelstand aus, dem formal 99% der Unternehmen zuzuordnen sind. Tatsächlich spielen allerdings einige große, häufig halbstaatliche Unternehmen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Zudem fördert Deutschland seit Neuestem auch die Entstehung von großen „Staatsunternehmen“ zur Steigerung der Versorgungssicherheit in Deutschland.
In Iran dominieren vor allem große staatliche, mittlerweile häufig halbstaatliche Unternehmen, die Wirtschaftslandschaft. Allerdings entstehen seit den 90ern immer mehr Mittelständler, die zunehmend neue Standards in ihren Branchen setzen und oft noch internationaler ausgerichtet sind.
Um noch mehr über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Deutschland und Iran zu erfahren, lesen Sie auch „Was zeichnet Deutschland aus?“ und „Was zeichnet Iran aus?“.
Hinweis: Ideale und Selbstverständnisse, sowie die Kommunikations- und Organisationskultur einer Gesellschaft entwickeln sich kontinuierlich. Individuen in einer Kultur verfügen dabei selbstverständlich über individuelle Persönlichkeitsmerkmale und weichen somit grundsätzlich mehr oder weniger stark vom „Gesamtdurchschnitt“ der Großgruppe ab.
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